Modisch liegt das Kopftuch im Trend, „Âlâ“ muss es wissen. Das neue türkische Hochglanzmagazin ist seit einem halben Jahr auf dem Markt und schon jetzt ein verlegerischer Erfolg. Dabei ist modern sein und ein Kopftuch tragen für viele Türken immer noch ein Widerspruch. Knapp 70 Prozent der Frauen bedecken ihr Haar, viele aus Tradition, manche aus religiöser Überzeugung.
Die Türkei ist andererseits ein laizistischer Staat, in der Politik und Religion strikt voneinander getrennt sind. Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk verbannte das Kopftuch aus der Öffentlichkeit. Die westlich orientierten Eliten der Republik hielten es lange für bäuerlich und hoffnungslos rückständig.
Seit aber vor neun Jahren die konservativ-religiöse Partei AKP an die Regierung gekommen ist, tragen viele Frauen ihr Kopftuch mit Stolz. In „Âlâ“ (arabisch für sehr gut, hervorragend) ist das Kopftuch ein Must-have. Alle Models sind verhüllt, schmücken sich aber mit teuren Marken. Ihre Blicke sind keusch, ihre Absätze hoch. „Muslimisches Lifestyle-Magazin“ nennt Gründer Mehmet Volkan Atay seine Zeitschrift. Er kombiniert darin Mode mit ein bisschen Dekoration, Kind und Karriere, Sex kommt nicht vor. Statt Flirttipps veröffentlichen die Macher religiöse Liebes-Poesie. Auf dem Titelbild wirbt der Slogan „Islam ist Frieden“ für den Glauben, ein paar Hochglanzseiten weiter geht es um Stiletto-Trends.
Die Mischung aus Allah und Luxus ist neu und funktioniert seit der ersten Ausgabe. Seit Juni stieg die Auflage von 10.000 auf 30.000 Exemplare. Nach deutschen Maßstäben ist das in absoluten Zahlen immer noch nicht viel. Doch mit diesem Ergebnis hat sich „Âlâ“ neben den erfolgreichsten Modemagazinen wie der türkischen „Vogue“, „Elle“ oder „InStyle“ einen festen Platz auf dem Zeitschriftenmarkt gesichert. Das Magazin wird nach ganz Europa verschickt, besonders in Deutschland gibt es viele Abonnentinnen. Bei Facebook zählt „Âlâ“ über 100.000 Fans, die intensiv über das Magazin diskutieren. „Eine solche Modezeitschrift war überfällig“, schreiben viele.
Sie sind wohlhabend, gebildet und modehungrig
Als „Âlâ“ in der Türkei auf den Markt kommt, entbrennt ein kleiner Kulturkampf. Die Strenggläubigen sehen das Blatt als Auswuchs des westlichen Kapitalismus. Luxus-Mode und islamische Werte halten sie für unvereinbar. „Anti-Âlâ“-Gruppen gründen sich auf Facebook und der Journalist Ahmet Turan Alkan schreibt in der konservativen Zeitung „Zaman“ einen zynischen Kommentar: „Es ist doch garantiert, dass wir ins Jenseits kommen, also lasst uns jetzt diese Lügenwelt genießen, teuren Marken folgen und die Tricks für ein gutes und schönes Leben erlernen!“
„Âlâ“-Leserinnen gehören zur neuen muslimische Bourgeoisie, sie vertreten konservative Werte, aber modernen Konsum. Durchschnittlich 18 bis 35 Jahre alt sind die Frauen dieser Schicht, wohlhabend, gebildet und modehungrig. Sie genießen den Luxus oder träumen wenigstens davon: bei Nachmittagen in gigantischen Einkaufszentren, vergnüglichen Abenden in alkoholfreien Lokalen und bei Wochenenden im Edel-Hamam.
Ironischerweise ist es gerade die religiös-konservative Partei AKP, die einen erheblichen Anteil an diesem Lebensstil hat: Die Wirtschaft boomt, das Pro-Kopf-Einkommen hat sich während ihrer Regierungszeit verdreifacht.
Traditionell lagen Kapital und Macht in den Händen aufgeklärter Eliten aus Istanbul, Ankara oder Izmir. Doch in den letzten Jahren wächst in den Großstädten eine aus Anatolien stammende, religiöse Mittel- und Oberschicht heran. Viele der Neureichen stellen ihren Wohlstand gerne zur Schau - mit Apartments am Bosporus, deutschen Autos und Ehefrauen in Chanel. Modisches Vorbild ist Emine Erdogan, die Frau des Ministerpräsidenten.
Sie pflegt einen hochgeschlossenen, aber eleganten Stil und machte so das Kopftuch salonfähig. Mit ihr an der Seite des mächtigsten Mannes im Land sind die Zeiten vorbei, in denen eine verhüllte Ehefrau als Karrierehindernis galt. Es ist jetzt umgekehrt. Oppositionelle unterstellen vielen kopftuchtragenden Frauen nun sogar Berechnung.
„Sich bedecken ist schön!“
In diesen Zeiten fürchten viele Türken eine Übermacht des Religiösen und die schleichende Islamisierung der Gesellschaft. 64 Prozent glauben, die Zahl der Kopftuchträgerinnen sei gestiegen. Belegen lässt sich das nicht. Aber immer mehr kopftuchtragende Frauen bewegen sich selbstbewusst und auffällig gekleidet in der Öffentlichkeit. Obwohl sie ihre Reize im Sinne des Korans unsichtbar machen, ziehen sie nun die Blicke auf sich.
„Viele Frauen tragen jetzt das Kopftuch, weil sie unsere Mode so schön finden“, sagt Esra Sezi, Moderedakteurin und Textchefin von „Âlâ“. Sie ist 24, hat Psychologie an einer privaten Universität studiert und sagt, sie habe eine Leidenschaft für Mode. Sie trägt Jeans, hochhackige Schuhe, hält in der Hand ein iPhone und hat sich ein Kopftuch umgebunden. Sie trägt es, seit sie 14 ist. „Alle Frauen in meiner Familie tragen es, ich wollte das unbedingt auch.“ Strengreligiös sei sie aber nicht.
Nun will sie auch andere Frauen für das Kopftuch begeistern. Etwa mit der „Âlâ“-Serie „Sich bedecken ist schön!“. Darin erzählen Frauen, wie sie sich für das Kopftuch entschieden und dabei ihr Glück gefunden haben. „Âlâ“-Gründer Atay hingegen betrachtet das Kopftuchtragen nicht als Option: „Das Kopftuch ist nicht nur ein Lifestyle, sondern vom Koran vorgeschrieben, eine Pflicht für jede gläubige Muslimin. Es ist eine Sünde, wenn sie es nicht trägt.“
Gleichzeitig inszeniert das Magazin berufliche Karrieren von Kopftuchträgerinnen als normal. Die Frauen in „Âlâ“ sind ausschließlich berufstätig oder studieren. Wie viele junge Musliminnen legen sie Wert auf Bildung und wollen sich nicht mehr auf die Rolle als Mutter und Hausfrau beschränken.
„Frieden und Nutzen für die Ehe“
Doch noch immer ist der Bildungsgrad vieler Türkinnen gering. Nur 16 Prozent der Hochschulabsolventinnen tragen ein Kopftuch. Gleichzeitig ist eine Karriere mit Kopftuch schwierig, denn in allen öffentlichen Einrichtungen besteht seit Jahrzehnten ein Verbot, nur an den Universitäten wurde es im letzten Jahr gelockert. Wer aber Ärztin werden will, Lehrerin oder Richterin, der muss das Kopftuch abnehmen.
In „Âlâ“ kommen Musliminnen vor, die trotzdem erfolgreich sind. An sie richtet sich die Umfrage für das „beste Büro-Outfit“. Und gleichzeitig, nur ein paar Seiten weiter, beantwortet die Redaktion in der Rubrik „Rechtsberatung“ Fragen, die in befremdlichem Missverhältnis zum aufgeklärten Ton des Magazins stehen: „Braucht eine verheiratete Frau die Zustimmung ihres Mannes, um ein Unternehmen zu gründen?“
In der Antwort erklärt der Rechtswissenschaftler Ilyas Çelikta dann, dass sich die Zeiten geändert haben. Fettgedruckt ist jedoch nur ein einziger Satz: „Die einzige Grenze liegt darin, den Frieden und Nutzen für die Ehe im Blick zu behalten.“
Im Klartext heißt das: Nur wer den Erwartungen von Ehemann und Familie gerecht wird, darf Karriere machen. Wille und Wohlstand der Familie stellen also noch immer die Weichen für das Leben der jungen Musliminnen in der Türkei. Auch „Âlâ“ lässt daran keinen Zweifel.